HEMPELS Verkäufer im Café

Völlig neue Ideen umsetzen

HEMPELS ist die Zeitschrift, klar. Der Trägerverein hilft aber auch mit weiteren Angeboten, etwa mit einem Café und mit den inzwischen von vielen anderen Städten kopierten Trinkräumen

TEXT: LUISA HAMPRECHT

Wenn es um HEMPELS geht, denken die meisten Menschen sofort an die Zeitschrift und die Verkäufer*innen, die in vielen Städten und Gemeinden beispielsweise vor Supermärkten stehen und das Straßenmagazin für kleines Geld anbieten. Doch hinter der Zeitung steckt mehr. Denn in den vergangenen 25 Jahren entstanden weitere Projekte.

Nur ein Jahr nach der Veröffentlichung des ersten Heftes wurde bereits 1997 der Trägerverein HEMPELS e.V. gegründet. So konnte das Straßenmagazin HEMPELS auf eigenen Beinen stehen. Nun gab es ein Straßenmagazin, das monatlich veröffentlicht wurde, und einen dazugehörigen Verein. Catharina Paulsen, Unterstützerin seit der ersten Stunde und heute Vorstandsmitglied und Mitarbeiterin im Sozialdienst von HEMPELS, erinnert sich im Rückblick: "Nach der Gründung des Trägervereins kam schnell die Frage auf, was wir für unsere Verkäufer*innen noch brauchen."

Erste Idee: ein eigenes Café als Anlaufstelle. Nachdem die Büroräume des Vereins in das obere Stockwerk des Hauses in der Kieler Schaßstraße verlegt worden waren, konnte diese Idee im Mai 1999 in den unteren Räumen umgesetzt werden. Bis heute befindet sich dort das Café "Zum Sofa". Der damals dort bereits vorhandene Tresen, der von dem ehemaligen Frauencafé "Cassandra" übernommen worden war, steht noch heute an der gleichen Stelle. "Dieser Tresen, den die Frauen damals gebaut haben, wird vermutlich noch in hundert Jahren dort stehen", prophezeit Catharina Paulsen mit einem Schmunzeln auf den Lippen.

Der Grundgedanke hinter dem Café-Projekt "Zum Sofa" war, einen Treffpunkt für die Zeitungsverkäufer*innen zu schaffen, an dem sie sich nicht nur aufhalten konnten, sondern auch gleichzeitig die Magazine für den Verkauf erhielten. Das Café kann seit dem ersten Öffnungstag an sieben Tagen der Woche ab 16 Uhr besucht werden. "Es bietet randständigen Menschen und auch solchen mit geringem Einkommen einen Treffpunkt", heißt es auf der Internetseite von HEMPELS. Den Besuchern des Cafés wird für kleines Geld eine Auswahl an alkoholfreien, aber auch niedrigprozentigen alkoholischen Getränken angeboten. "Dieser Raum bietet vor allem Hilfestellung. Hier ist es angenehm und man kann verschiedene Sachen machen. Es ist gut, dass es so was gibt“, erzählte der mittlerweile verstorbene HEMPELS-Verkäufer Jürgen Becker im Schleswig-Holstein-Magazin vom 22. Februar 2010.

Der Zugang war und ist niedrigschwellig und an keine Voraussetzung geknüpft, das Café soll kein "Sozialarbeiter-Treffpunkt" sein. Jo Tein, erster Vorsitzender des HEMPELS e.V., erinnert sich: "Es war damals schwierig, dieses Projekt in Kiel in der Sozialarbeiter-Szene zu transportieren. Es war etwas völlig Neues, zu akzeptieren, dass es alles erwachsene Menschen sind, die selber entscheiden, ob sie Alkohol trinken möchten oder nicht. Das war zum damaligen Zeitpunkt eine große Diskussion."

Besonders außerhalb der Öffnungszeiten des Cafés trafen sich weiterhin viele nicht nur wohnungslose Menschen auf der Straße und in den Kieler Parks, da sie keinen besseren Ort hatten, an dem sie sich aufhalten konnten. Nach Beschwerden von ansässigen Gewerbetreibenden, die sich von den Treffen durch Lärm und Pöbeleien gestört fühlten, kam die Stadtverwaltung schließlich auf den Verein zu und bat um längere Öffnungszeiten. Ziel war, die angespannte Situation zwischen den Menschen, die ihre Zeit auf der Straße verbrachten, und den Anwohner*innen zu beruhigen.

2003 wurde dieser Vorschlag der Stadt schließlich von HEMPELS umgesetzt. In den bis dahin lediglich abends als Vereinscafé geöffneten Räumen wurde tagsüber zusätzlich ein sogenannter Trinkraum eingerichtet. Trinkraum bedeutet, dass die Besucherinnen und Besucher auch tagsüber in einer geschützten Räumlichkeit selbst mitgebrachten niedrigprozentigen Alkohol konsumieren können. Vorstand Jo Tein sagt heute, dieses Projekt habe in der Sozialarbeiterszene anfangs ebenfalls als "No-Go" gegolten. Das bestätigt auch Lutz Regenberg, ehrenamtliches Vorstandsmitglied bei HEMPELS und hauptberuflich Leiter der Öffentlichkeitsarbeit bei der Lübecker Vorwerker Diakonie: "Es war eigentlich üblich, an solchen Treffpunkten ein Alkoholverbot zu verhängen."

Dieses Paradigma wurde mit dem Trinkraum des Vereins durchbrochen. "Der Alkoholkonsum kann den Menschen durch einen Trinkraum nicht abgewöhnt werden, aber die Nebenwirkungen können gemindert werden", so Lutz Regenberg. Dass es sich bei dem Projekt um einen bis zu diesem Zeitpunkt nicht üblichen Umgang mit den Problemen prekär lebender Menschen handelte, war den Verantwortlichen bewusst. Die positive Resonanz sowohl von den Betroffenen selbst als auch von vielen anderen Menschen – zahlreiche nationale wie internationale Medien berichteten zustimmend über den Kieler Trinkraum – bestärkte jedoch das Team vom HEMPELS e.V. in seiner Idee. Der Trinkraum in der Schaßstraße in den Räumlichkeiten des Cafés ist bis heute ein großer Erfolg, 2010 wurde im Stadtteil Gaarden in der ehemaligen Kneipe "Holsteneck" ein weiterer Trinkraum eröffnet.

Mittlerweile sind in zahlreichen anderen Städten wie beispielsweise Berlin und Dortmund Trinkräume nach dem Vorbild von HEMPELS eingerichtet worden. Mit den Trinkräumen auf der einen Seite und dem Café auf der anderen Seite stehen nun den Verkäufer*innen fast den ganzen Tag über Aufenthaltsorte zur Verfügung.

Die beiden Projekte repräsentieren exemplarisch die zahlreichen weiteren Ideen und Angebote, die unter dem Dach von HEMPELS e.V. über die Jahre entstanden sind. So berichtet Joachim, Verkäufer von HEMPELS und Mitarbeiter in der Suppenküche, von einem Verkäufer-Austausch mit dem Straßenmagazin Shedia in Athen. Organisiert wurde dieser Austausch von HEMPELS. "Das war 2016. Ich habe eine Woche in Athen Straßenzeitungen verkauft und mein Austauschpartner eine Woche hier in Kiel. Unsere Erfahrungen waren, dass wir jeweils nicht allein sind mit unseren Problemen – Armut gibt es überall", so Joachim.

Wir gehen davon aus, dass noch viele andere Projekte wie der Austausch mit Griechenland folgen werden.

Studierende der Kieler Christian-Albrechts-Universität haben im Sommersemester 2021 die bis dahin 25-jährige Geschichte von HEMPELS untersucht. Das Projektseminar am Historischen Institut leitete Professor Dr. Oliver Auge. Die Studierenden haben Unterlagen in HEMPELS-Archiven gesichtet, Interviews geführt – und ihre Ergebnisse in Artikeln wie diesem zusammengefasst.