HEMPELS Verkäufer im Café

Kein Stillstand

Sich treu bleiben in Zeiten des Wandels: Auch nach jetzt mehr als 25 Jahren entwickelt sich das HEMPELS-Magazin weiter

TEXT: RIKE EHLERS UND HANNES STRÖH
 

25 Jahre sind eine lange Zeit – insbesondere, wenn man bedenkt, mit welchen einfachen Mitteln HEMPELS 1996 an den Start gegangen war. Um durch all die Jahre als Straßenmagazin relevant zu bleiben, musste die Redaktion sich selbst und ihre Inhalte immer wieder überprüfen und modernisieren. Während die ersten Hefte noch in Handarbeit des damaligen Teams entstanden, steht mittlerweile eine professionelle Redaktion hinter der Zeitschrift. Dabei haben die verantwortlichen Redakteur*innen nie vergessen, was die Ursprungsidee bei der Gründung ausgemacht hat.

Als im Februar 1996 die erste Ausgabe von HEMPELS erschien, existierten bereits seit wenigen Jahren Straßenmagazine in Köln, München und Hamburg. Allerdings hat vermutlich keiner der damals an der HEMPELS-Gründung Beteiligten vorhergesehen, dass die Zeitschrift auch 25 Jahre und mehr als 300 Ausgaben später immer noch Bestand haben würde. Jo Tein, erster Vorsitzender des Trägervereins und Mitgründer von HEMPELS, erinnert sich an die Anfänge des Straßenmagazins: "Wir haben mit einem Schülerzeitungsprogramm das erste Layout gemacht. Der Ursprungsbeweggrund war: Wir wollten mit Leuten, die selbst betroffen sind, die selbst auf der Straße sind, ein Blatt machen, das über ihre Situation informiert."

Ein Alleinstellungsmerkmal von HEMPELS ist, dass die Zeitschrift auch die persönlichen Storys der Menschen veröffentlicht, die als Verkäufer*innen das Magazin in der Öffentlichkeit anbieten. Doch besonders zu Beginn fehlte es HEMPELS an finanziellen Mitteln für den Journalismus und das Layout, so dass Jo Tein und sein kleines Team die Inhalte und Strukturen des Straßenmagazins in Eigenregie erarbeiteten – ungeschliffen, ohne Lektorat. Dieser Amateurcharakter ist in den Ausgaben bis Ende 1997 deutlich erkennbar. Dabei kam besonders die von vornherein angestrebte Nähe zur Lebenswirklichkeit durch den Originalton der Betroffenen gut an, und so konnte das Straßenmagazin in den Folgejahren wachsen.

Ende 1997 erhielt der neu um das Magazin herum gegründete Trägerverein HEMPELS e.V. für zwei Jahre Fördergelder, um auch mit gelernten Journalisten zu arbeiten. Schulungen für mitarbeitende Hobbyschreiberinnen und -schreiber wurden angeboten, um so einen ersten qualitativen Schritt nach vorne zu machen. Der inhaltliche Schwerpunkt mit authentischen Berichten aus dem Leben von Wohnungslosen blieb bestehen.

Trotzdem musste HEMPELS um die Jahrtausendwende einen kontinuierlichen Einbruch in den Verkaufszahlen erfahren. Insgesamt hatte man gemerkt, dass der Weg so nicht weiter funktionierte und eine komplette Professionalisierung des Straßenmagazins unumgänglich war, weil es an Attraktivität verloren hatte. Es musste also eine Lösung gefunden werden, das eigene Angebot zukunftsgerichtet aufzuwerten und gleichzeitig inhaltlich an der bisherigen Linie festzuhalten. An dieser Stelle kam im August 2003 Teins langjähriger Bekannter Peter Brandhorst ins Spiel, der als gelernter Journalist den Professionalisierungsprozess anstoßen sollte. Im Interview berichtet der seitdem aktive Redaktionsleiter: "Ich habe langsam und in vielen kleinen Schritten versucht, das Heft zu verändern, professioneller zu werden."

Einer dieser kleinen Schritte war im Laufe der Jahre zum Beispiel, auf dem Titel Bilder von Prominenten abzubilden, die jeweils mit einer Story über sie in der Ausgabe vertreten waren. Brandhorst selbst sagt dazu, dass ihm immer wichtig gewesen ist, den Geschichten im Magazin ein Gesicht zu geben und sie damit den Leser*innen näher zu bringen. Ziel ist es zudem, dass HEMPELS neben den Berichten über Menschen in prekären Lebensbedingungen ebenfalls Inhalte vermittelt, "bei denen man auch mal schmunzeln darf."

Der Wechsel von einer Gruppe aus Laien mit Interesse am Schreiben hin zu einer professionellen Redaktion erfolgte laut Brandhorst relativ schnell innerhalb der folgenden anderthalb Jahre. Im Frühjahr 2005 hatte er die komplette Redaktionsleitung übernommen. Brandhorst stellt hohe Ansprüche an die Inhalte des Magazins. Jede Geschichte, die in HEMPELS veröffentlicht wird, sollte auch in anderen Zeitungen stehen können und für Leser*innen in ganz Schleswig-Holstein interessant sein, sagt er. Auf diese Weise hat es das Straßenmagazin geschafft, eine wichtige Medienstimme für ganz Schleswig-Holstein zu werden.

Die Professionalisierung von HEMPELS vollzog sich nach der Übernahme der Redaktionsleitung durch Brandhorst weiter als langsam voranschreitender Prozess auf mehreren Ebenen. Dies lässt sich direkt anhand alter HEMPELS-Ausgaben nachvollziehen: So ist das Magazin beispielsweise seit 2007 nicht mehr in schwarz-weiß gehalten, sondern wird seither in Farbe produziert. Darüber hinaus wurden das Layout und das Design mit jedem Relaunch verbessert und die Preise der Zeitschrift gleichzeitig gering angepasst.

Während Brandhorst anfänglich allein die Redaktionsarbeit übernahm, gehören mittlerweile zwei weitere Schreiber sowie ein Fotograf zum Team, das die Themen und Inhalte gemeinsam entwickelt. Aktuell sind das Georg Meggers, Wolf Paarmann und Holger Förster, Nadine Grünewald verantwortet das Layout. Darüber hinaus schreiben mehrere Journalistinnen und Journalisten auf Honorarbasis für das Straßenmagazin, unter anderem in festen Namensrubriken.

Über die Jahre entstanden in verschiedenen Städten Schleswig-Holsteins Kooperationen mit vor allem diakonischen Einrichtungen, um die Zeitung auch über Kiel hinaus anbieten zu können. 2008 fusionierte HEMPELS zudem mit dem Lübecker Straßenmagazin "Bessere Zeiten" und ist seither in Kooperation mit der örtlichen Vorwerker Diakonie auch im Großraum Lübeck erhältlich.

Die Kernidee hinter diesem kontinuierlichen Wandel ist, mit der Zeit zu gehen und das Magazin weiterhin attraktiv für die Käuferinnen und Käufer zu gestalten. Daher wurden die letzten Relaunches jeweils von einer fachkundigen Agentur begleitet. Dies ist laut Vorstandsmitglied Lutz Regenberg notwendig, um zukunftsfähig zu bleiben. Die Entscheidungen über Veränderungen und Weiterentwicklungen der Heftinhalte – beispielsweise die Einführung neuer Rubriken – werden gemeinsam besprochen, sie orientieren sich dabei zugleich an den Marktbeobachtungen des Internationalen Netzwerks der Straßenmagazine, dem HEMPELS angehört.

Natürlich setzt das Magazin nach wie vor auf bewährte inhaltliche Stärken. So wird neben der Wohnungslosigkeit auf vielfältige weitere Probleme prekärer Lebensumstände eingegangen. Ein zentrales Anliegen des Magazins ist weiterhin, die Geschichten der Menschen zu erzählen, die die Ausgaben verkaufen. Diese können in der festen Rubrik "Auf dem Sofa" über sich und ihre Lebensumstände berichten. Zum Schmunzeln und Nachdenken bringt die Leser*innen der Satiriker Hans Scheibner mit seiner Glosse "Scheibners Spot".

Der kontinuierliche Professionalisierungs- und Modernisierungsprozess des Straßenmagazins ist auch bis zum heutigen Tag nicht zum Stillstand gekommen: Einerseits ist HEMPELS inzwischen auf Social Media zu finden. Dabei geht es jedoch weniger um eine aktive Teilnahme, sondern vielmehr um die Bewerbung des Straßenmagazins, um eine noch größere Reichweite zu erzielen. Andererseits kam besonders zur Corona-Zeit die Frage nach dem kontaktlosen Bezahlen auf. Zwar steckt dieses Projekt nach Aussage von Vorstandsmitglied Regenberg noch in den Kinderschuhen, jedoch ist auch dies ein notwendiges Thema, um auf der Höhe der Zeit zu bleiben.

HEMPELS hat mittlerweile ein gutes Vierteljahrhundert Geschichte hinter sich. Am Anfang haben Betroffene teilweise noch selbst über sich und von ihren Problemen erzählt. Heute schreibt die Redaktion den Großteil der Artikel. In der Zwischenzeit hat die Zeitschrift einige Veränderungen durchgemacht, ist im Kern jedoch immer gleichgeblieben. Vorstand Jo Tein sagt, soziale Themen seien nach wie vor der rote Faden in der Berichterstattung von HEMPELS. Für die Zukunft ist es ihm ein Anliegen, HEMPELS für Beschäftigte im sozialen Bereich noch interessanter und das Magazin zu einer kritischen Stimme über Entscheidungen in der Kommunal- und in der Landespolitik bezüglich sozialer Fragen weiter auszubauen. So sollen bisherige und zukünftige politische Maßnahmen zur Unterstützung von Wohnungslosen und zu Armutsthemen insgesamt hinterfragt werden.

Die Professionalisierung der Arbeitsweise hat dafür gesorgt, dass mittlerweile eine stabile Auflage von rund 20.000 Exemplaren im Monat verkauft wird und dass sich HEMPELS zu einer konkurrenzfähigen Zeitschrift und einer festen Größe neben den anderen deutschsprachigen Straßenmagazinen entfaltet hat. Wir dürfen uns daher auch in Zukunft auf viele spannende Entwicklungen des Magazins freuen.

Studierende der Kieler Christian-Albrechts-Universität haben im Sommersemester 2021 die bis dahin 25-jährige Geschichte von HEMPELS untersucht. Das Projektseminar am Historischen Institut leitete Professor Dr. Oliver Auge. Die Studierenden haben Unterlagen in HEMPELS-Archiven gesichtet, Interviews geführt – und ihre Ergebnisse in Artikeln wie diesem zusammengefasst.