Die international vereinbarte 1,5-Grad-Schwelle ist 2024 erstmals seit Beginn der Wetteraufzeichnung im Mittelwert überschritten worden. Wie der EU-Klimadienst Copernicus am Freitag, 10. Januar, in Bonn mitteilte, war es vergangenes Jahr im weltweiten Durchschnitt um 1,6 Grad Celsius wärmer als zur vorindustriellen Zeit (Referenzzeitraum: 1850 bis 1900). Ein Temperaturrekord wurde auch für Europa aufgestellt. Fachleute mahnten angesichts der Daten mehr Bemühungen beim Klimaschutz an – auch mit Blick auf den Bundestagswahlkampf in Deutschland.
Laut den Copernicus-Daten war 2024 das wärmste Jahr, das bisher gemessen wurde. Die globale Oberflächentemperatur lag demnach im Schnitt bei 15,1 Grad Celsius, nochmal 0,12 Grad über dem Wert des bisherigen Rekordjahres 2023. Die 1,5-Grad-Grenze sei damit auch im Zweijahresschnitt für 2023/24 überschritten worden.
Zwar hat auch das regionale Klimaphänomen El Niño, das das Wetter weltweit beeinflusst, dabei eine Rolle gespielt. Aber die Hauptursache für die Erwärmung ist der Klimawandel, der maßgeblich durch den Ausstoß von Treibhausgasen wie CO2 verursacht wird.
Die Daten zeigten einmal mehr unmissverständlich, "dass das Klima sich weiter erwärmt", erklärte Copernicus-Direktor Carlo Buontempo. Der Klimaforscher Mojib Latif warnte: "Wir leben inzwischen in einer neuen Welt, die wir nicht kennen und an die wir nicht angepasst sind." Die Trends der vergangenen Jahrzehnte seien "ohne den menschlichen Einfluss nicht zu erklären", sagte der Wissenschaftler vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel dem Science Media Center (SMC).
Von symbolischer Bedeutung ist vor allem das Überschreiten der 1,5-Grad-Schwelle. Mit dem Pariser Klimaabkommen von 2015 hatte sich die Weltgemeinschaft das Ziel gesetzt, die Erderwärmung gegenüber der vorindustriellen Zeit auf möglichst 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Wird diese Temperatur dauerhaft überschritten, drohen laut Weltklimarat mehr Extremwetterereignisse wie Starkniederschläge oder Dürren. Zudem drohen Schäden für das Klimasystem, die nicht mehr rückgängig zu machen sind. Dazu zählt etwa das Abschmelzen der Eisschilde.
Zwar ist das 1,5-Grad-Ziel noch nicht verfehlt, denn dafür müsste die Temperatur über einen Zeitraum von mindestens 20 Jahren im Mittelwert darüber liegen. Doch viele Fachleute halten dies für wahrscheinlich: "Physikalisch ist das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, unerreichbarer denn je", sagte etwa Johanna Baehr vom Institut für Meereskunde der Universität Hamburg dem SMC und forderte: Ziel müsse nun sein, so wenig wie möglich darüber hinauszugehen.
Der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Ottmar Edenhofer, beklagte eine Klima-Ignoranz im Bundestagswahlkampf. "Manche tun so, als gehöre Klimaschutz zum Luxusgedöns nach dem Motto: Wenn wir politisch nix mehr zu tun haben, wenn die Wirtschaft wieder richtig brummt, dann machen wir mal wieder Klimapolitik", sagte Edenhofer der Neuen Osnabrücker Zeitung. Dass der Klimawandel längst massive Schäden hervorrufe, sei "auch in diesem Bundestagswahlkampf irgendwie in Vergessenheit geraten".
Auch Europa war laut den Daten mit Rekordtemperaturen konfrontiert. So habe die aufs Jahr berechnete Durchschnittstemperatur hier bei 10,69 Grad Celsius gelegen – und damit 0,28 Grad über dem bisherigen Höchststand von 2020. Im Vergleich zum Durchschnitt der Jahre 1991 bis 2020 entspricht dies einem Anstieg von 1,47 Grad.
Obwohl sich der Temperaturrekord für 2024 angesichts mehrerer monatlicher Hochstände abgezeichnet hatte, wurden im vergangenen Jahr beim internationalen Klimaschutz kaum Fortschritte gemacht. Die UN-Klimakonferenz in Baku im November endete ohne neue Verabredungen zur Reduzierung klimaschädlicher Emissionen. Ein Sprecher des Auswärtigen Amts betonte in Berlin, dass Deutschland sich bei den internationalen Klimaverhandlungen weiter ambitioniert einbringen wolle. EPD