Veronique Löwe und ihre Kolleginnen vom Flensburger Tagestreff müssen Besucher jetzt auch beim Umgang mit Enttäuschungen unterstützen
TEXT: PETER BRANDHORST
Es ist ein Paradoxon, das sich auch im diakonischen Tagestreff (TAT) am Flensburger Johanniskirchhof vorerst nicht auflösen lässt: Weiterhin soll dort Menschen in Not geholfen werden – und doch muss jetzt vielen gesagt werden, dass dies im Moment in gewohnter Form nicht möglich ist. "An unseren Öffnungszeiten hat sich während der Corona-Krise zwar nichts geändert", sagt Mitarbeiterin Veronique Löwe, "aber aus Schutzgründen kann im Moment immer nur eine Person zur Zeit die Räume betreten. Das belastet nicht nur unsere Besucher, das erschwert auch meine Arbeit und die meiner zwei Kolleginnen Michaela Ketelsen und Sina Lassen."
Die Sorgen und Nöte ihrer Klientel bestünden ja weiter, so Löwe, dem gerecht zu werden, stelle die sozialpädagogische Arbeit vor eine große Herausforderung. Regelmäßige Gäste, die eine eigene kleine Wohnung haben, sind aufgefordert, sich dort aufzuhalten. In den TAT, der auch unsere örtlichen Verkäuferinnen und Verkäufer betreut, können sie im Moment nur zum Wäschewaschen kommen. Gestiegen ist der telefonische Beratungsbedarf. Etwa 15 Gespräche nehmen die Mitarbeiterinnen täglich entgegen, weitere 15 Personen können die Räume auch weiterhin in Abständen persönlich betreten. Vor Corona hielt sich täglich die doppelte Anzahl an Besuchern in den Räumen auf.
Wer kommt, muss draußen klingeln. Besucher werden nur einzeln eingelassen, sie können duschen, Post abholen oder auch Sachen aus ihren Schrankfächern holen. Beratungsgespräche werden nur in sehr dringenden Fällen durchgeführt. "Ein regelmäßiger Gast wollte vor ein paar Tagen mit unserer Hilfe von hier aus weiter nach einer Wohnung für sich suchen", so die 35-jährige Löwe, "aber wie denn und wo denn? Ist doch überall alles geschlossen. Wir sind jetzt nochmal ganz besonders gefordert, unsere Gäste auch beim Umgang mit solchen Enttäuschungen zu unterstützen." Auch sonst übliche Angebote wie Frühstück oder Mittagessen können jetzt nicht stattfinden.
Die meisten Gäste hätten Verständnis für die Situation und gingen gut damit um, so Löwe. "Aber das große Problem für sie ist, dass sie mit niemandem über ihre Sorgen wirklich sprechen können." Auch außerhalb des TAT gebe es keinen Ort, an dem sie sich aufhalten können, nirgendwo öffentlicher Raum, um sich aufwärmen zu können, kein Ort, wo sie in Ruhe eine Tasse Kaffee trinken können. Löwe sieht den dringenden Bedarf, einen Ort zu schaffen, an dem sich Obdachlose in geschütztem Rahmen bewegen können.
Positiv sei die Reaktion aus der Bevölkerung. "Wir bekommen viele Spenden – Lebensmittel, Hygieneartikel, Kleidung", so Löwe. Die Sanitärfirma Wohlenberg aus Harrislee beispielsweise hat auf Facebook einen Spendenaufruf gestartet, um die Not etwas zu mildern. Einen Teil der Lebensmittel und Konserven gebe man als Carepakete an Bedürftige weiter, aus einem anderen Teil wird Suppe gekocht, die in To-Go-Bechern ausgeteilt wird.
Eine große Belastung sei die Situation für alle Beteiligten, so Löwe. Einerseits, könnte man hinzufügen. Denn andererseits ist ihr und ihren beiden Kolleginnen Michaela Ketelsen und Sina Lassen im Flensburger TAT klar, dass sie auch weiterhin vor Ort sind, um zu helfen. Montags bis Mittwochs ab 7:30 bis 14 Uhr, Donnerstags bis 13 Uhr und Freitags bis 12 Uhr. Samstags ist ab 9 bis zwölf Uhr und Sonntags zwischen 11 und 14 Uhr geöffnet.
Ob bei uns bei HEMPELS oder bei anderen Trägern in Schleswig-Holstein – angesichts der Corona-Krise mussten soziale Beratungs- und Versorgungsangebote überall ihre Erreichbarkeit vorübergehend stark reduzieren und in einen Notbetrieb übergehen. Für die dort tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist das mit ganz besonderen Herausforderungen verbunden. In loser Folge stellen wir an diesem Ort Menschen vor, deren Hilfe jetzt mehr denn je gefordert ist.