HEMPELS Verkäufer im Café

Neun von 10.000

"Housing First": Wie die Stiftungen von HEMPELS und Diakonie Schleswig-Holstein Wohnungen für Wohnungslose schaffen

TEXT UND FOTO: GEORG MEGGERS

"Ich freue mich, dass noch mehr Menschen die Chance bekommen, die ich bekommen habe", sagt die Bewohnerin. 2018 zog sie als eine der ersten in ein Haus, das die HEMPELS-Stiftung unter dem Dach der Diakonie Stiftung Schleswig-Holstein erwarb, damit wohnungslose Menschen darin eine dauerhafte Bleibe finden. Sechs Jahre später – Ende April 2024 – findet auf der Fläche dahinter der Spatenstich für einen Neubau statt: Neben den zwölf Wohnungen im Bestandsgebäude sollen hier neun weitere entstehen.

Was diese Zahl bedeutet: In Zukunft werden neun Menschen wieder ein Zuhause haben, die zuvor keines mehr hatten. Wie die Bewohnerin des Bestandsgebäudes, die nun neben einem Nachbarn und dessen Hund an der Hauswand lehnt. "Wohnungslos zu sein ist wahnsinnig anstrengend und nervt tierisch", sagt sie. "In meinen eigenen vier Wänden fühle ich mich jetzt sicher und wohl." Hinter ihrem Haus sei bisher nie etwas los gewesen; doch es störe sie auch nicht, dass es heute ganz anders ist. In ihrem Hinterhof stehen rund 60 Menschen um ein Rednerpult, das vor zwei Baggern sowie einem Sandhaufen mit sieben hineingesteckten Schaufeln platziert wurde.

Ein sonniger Dienstagnachmittag in der Lauenburger Straße im Kieler Stadtteil Gaarden-Süd. Gekommen sind Mitarbeitende von HEMPELS, der Diakonie Schleswig-Holstein und dem Kieler Anker. Reporterinnen und Reporter lokaler Medien sowie Vertreterinnen und Vertreter von Kommunal- und Landespolitik. Zudem schauen sich vier Männer das Spektakel an, die beim Hausbau nicht die unwichtigste Rolle einnehmen: Mitarbeiter der beauftragten Baufirma. Und unter den Gästen ist auch eine Frau, die den HEMPELS e. V. als Fördermitglied unterstützt sowie regelmäßig für die HEMPELS-Stiftung spendet. Mit einem Lachen sagt sie, dass sie damit zur Finanzierung einiger Zementsäcke beigetragen habe.

Beim Spatenstich stellen HEMPELS-Vorstand Catharina Paulsen, Schleswig-Holsteins Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU), der Kieler Sozialdezernent Gerwin Stöcken (SPD), der Vorstand der Diakonie Stiftung Schleswig-Holstein Bernd Hannemann und der Vorsitzende des Stiftungsrates der HEMPELS-Stiftung Jo Tein das "Housing First"-Projekt vor. Vor Ort sind außerdem Reiner Braungard, der die HEMPELS-Stiftung berät, sowie Jörg Sepke, der als Architekt des Hauses den Gästen schon einmal zeigt, was sich später wo befinden soll.

Nämlich das Folgende: 35 Quadratmeter große Wohnungen mit jeweils einem Wohn- und Schlafraum inklusive Küchenzeile, einem Badezimmer sowie einer Loggia oder Terrasse. Dafür zahlen künftige Mieterinnen und Mieter eine Grundmiete von 8,50 Euro pro Quadratmeter. Die Wohnungen im Erdgeschoss werden aufgrund breiter Flure und Türen barrierefrei sein.

Der Neubau wird insgesamt circa 1,71 Millionen Euro kosten. 1,54 Millionen davon fördert das Land aus dem Programm "Wohnraum für besondere Bedarfsgruppen", davon 1,064 Millionen als zeitlich befristetes zinsloses Darlehen und weitere circa 476.000 Euro als Zuschuss. Die restlichen gut 171.000 Euro steuert die HEMPELS-Stiftung als Eigenmittel bei. Die sozialpädagogische Begleitung der Mieterinnen und Mieter in ihrem Wohnraum finanziert die Landeshauptstadt Kiel.

Warum "Housing First"-Projekte so wichtig sind, lässt sich mit Statistiken belegen, auf die Vortragende beim Spatenstich verweisen: In Kiel seien mehr als 2.500 Menschen wohnungslos, in Schleswig-Holstein mehr als 10.000 Menschen von Wohnungslosigkeit betroffen oder bedroht. Für neun von ihnen entsteht nun ein neues Zuhause. Die Zahlen zeigen also auch: Wenn sich an der Wohnungsnot grundsätzlich etwas ändern soll, kann der von der HEMPELS-Stiftung unter dem Dach der Diakonie Stiftung Schleswig-Holstein initiierte Neubau nur ein Anfang sein, dem viele weitere Projekte folgen müssen.

Deshalb äußert Jo Tein von der HEMPELS-Stiftung neben viel Lob für die Unterstützung vom Land und der Stadt auch kritische Punkte gegenüber der Politik: "Bei aller Freude, dass das hier klappt: Setzen Sie sich bitte für eine Deregulierung der Bauvorschriften und eine Verschlankung der Verwaltungsabläufe ein!" Durch diese würden die Kosten für ein solches Projekt immer weiter steigen und von der Planung bis zur Fertigstellung vergehe viel zu viel Zeit – im Fall des Neubaus in der Lauenburger Straße von 2019 bis voraussichtlich 2025. Jahre, in denen sich neun Menschen ohne eigene vier Wände durch ihr Leben schlagen müssen. Außerdem fordert Tein, dass die öffentlichen Förderungen aus dem Programm "Wohnraum für besondere Bedarfsgruppen" keinen Sparmaßnahmen zum Opfer fallen dürfen.

Nach dem Spatenstich gibt es für alle Gäste sowie Anwohnerinnen und Anwohner noch Kaffee und Pizzen von einem italienischen Restaurant aus der Nachbarschaft. "Eine schöne Veranstaltung mit gemütlicher Atmosphäre", sagt die Bewohnerin des Bestandsgebäudes, die sich nun auf die Schwelle vom Hauseingang gesetzt hat. "Den Bau werde ich aus meinem Küchenfenster genau beobachten. Schon spannend zu sehen, wie so ein Gebäude entsteht." Für die wohnungslosen Menschen, die dort wieder ein Zuhause finden, freue sie sich. Und stört es sie, bis dahin neben einer Baustelle zu leben? "Das gehört dazu! Und ich brauche mir dann morgens keinen Wecker mehr zu stellen."

Möchten auch Sie unser Stiftungsprojekt "HEMPELS hilft wohnen" unterstützen oder haben Fragen dazu? Dann wenden Sie sich an unseren Vorstand Jo Tein; per E-Mail an jo.tein@hempels-sh.de oder telefonisch unter (0 15 22) 8 97 35 35.

Beim Spatenstich (v. l. n. r.): Architekt Jörg Sepke, Jo Tein von der HEMPELS-Stiftung, der Ratsherr sowie Vorsitzende vom Sozialausschuss Nesimi Temel (SPD), Sozialdezernent Gerwin Stöcken (SPD), Schleswig-Holsteins Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU), der Vorstand der Diakonie Stiftung Schleswig-Holstein Bernd Hannemann, HEMPELS-Vorstand Catharina Paulsen und Landespastor Heiko Naß von der Diakonie Schleswig-Holstein.